Steffi Jones war zwei Jahrzehnte lang weltweit eine der prägenden Figuren und erfolgreichsten Spielerinnen des Frauenfußballs. Von 1991 bis 2007 lief sie insgesamt 111 Mal für die deutsche Nationalmannschaft auf. Hier stellt die Welt- und Europameisterin ihre Traumelf aus früheren Mitspielerinnen vor und erinnert sich dabei an Snickers-Fan Kerstin Garefrekes, Lichtgestalt Mia Hamm und das Golden Goal von Nia Künzer. Außerdem spricht über die Entwicklung des Frauenfußballs und über ein verunglücktes Laufduell mit Timo Werner.
Die Traumelf von Steffi Jones
Steffen Jones über …
Silke Rottenberg // Torfrau // 1. FFC Frankfurt
Silke kannte ich schon von der Frauen-Nationalmannschaft, als wir 2006 zum Ende meiner Karriere schließlich auch im Verein zusammengespielt haben. Bei der Frauen-EM 1989 in Deutschland war sie als Fan dabei und hat Torfrau Marion Isbert bewundert. Schon da hatte sie den Traum, für Deutschland im Tor zu stehen. Als sie vier Jahre später zur Nationalmannschaft stieß, ließ sie selbstbewusst verlauten, dass sie Nummer 1 werden möchte. Aufgrund der hohen Konkurrenz und technischen Defiziten wurde sie dafür von einigen belächelt. Aber sie hat sich davon nicht beirren lassen und mit großem Ehrgeiz und eiserner Disziplin so hart an sich gearbeitet, bis sie schließlich nicht nur die beste Torfrau in Deutschland, sondern auch auf der ganzen Welt war.
Sie ist eine starke Persönlichkeit und verkörperte einen unbändigen Siegeswillen. Mit ihren teils unglaublichen Paraden und schnellen Reaktionen hat sie die Gegner oft zur Verzweiflung getrieben. Es war großartig, sie auf dem Platz hinter mir zu wissen.
So konzentriert Silke auf dem Rasen war, so witzig und spontan war sie es außerhalb des Platzes. Es war mir eine Freude, mit ihr bei der Nationalmannschaft jahrelang ein Zimmer zu teilen. Ihre Lieblingsbeschäftigung, sobald wir etwas Zeit hatten: ins nächste Café gehen und einen Kaffee trinken.
Sandra Minnert // Linke Verteidigerin // 1. FFC Frankfurt
Von 1992 bis 2007 hat sie 147 Länderspiele gemacht – und sich in keinem einzigen geschont. Ich habe sie liebevoll »Terrier« genannt, weil sie auf dem Platz so bissig war. Keine Stürmerin wollte gerne gegen sie spielen. Sie kannte keinen Schmerz und ist dementsprechend kompromisslos in die Zweikämpfe gegangen – selbst auf die Gefahr, sich dabei Blessuren und ein blaues Auge einzuhandeln. Wenn sie ausnahmsweise mal einen Zweikampf verlor, hat sie sofort nachgesetzt, bis die Situation geklärt war.
Bei den Gegnern war Sandras Schussstärke gefürchtet. Wenn wir dem Gegner Respekt einflößen wollten, hat sie den ersten Freistoß direkt in die Mauer geschossen. Sie war aber keine reine Zerstörerin, sondern konnte auch mit dem Ball umgehen und viel zum Spielaufbau beitragen. Als eine von nur wenigen Spielerinnen konnte sie Pässe über 40 Meter punktgenau an die Frau bringen.
Ich habe sie auch deswegen zu schätzen gelernt, weil sie eine absolute Teamspielerin war, die großen Wert auf Harmonie in der Mannschaft gelegt hat. Mit ihrer ansteckenden, positiven Art hat sie viel zu unserem guten Teamgeist beigetragen. In der Öffentlichkeit war sie zurückhaltend, doch für Autogrammwünsche der Fans hat sie sich gerne Zeit genommen.
Steffi Jones // Innenverteidigerin
In meiner Traumelf möchte ich unbedingt mitspielen und stelle mich daher auf meine Paradeposition als zentrale Spielerin in der Abwehrreihe auf. Begonnen habe ich ursprünglich im Sturm, doch meine ehemalige Trainerin Tina Theune hat mich wegen meines guten Stellungsspiels, meines sauberen Spielaufbaus und meiner Kopfballstärke, die ich mir mühsam am Kopfballpendel antrainiert habe, erfolgreich zum Libero umfunktioniert.
Die Nationalmannschaft war schon in jungen Jahren mein erklärtes Ziel. Als ich in der Frauen-Bundesliga auf einmal gegen meine Idole wie Doris Fitschen, Martina Voss und Silvia Neid angetreten bin und später sogar mit ihnen zusammen in der Nationalmannschaft spielte, war das zunächst ein komisches Gefühl. In meinen Vereinsmannschaften habe ich immer frühzeitig viel Verantwortung übernommen, doch als junges Küken im Nationalteam war ich anfangs zurückhaltend. Das hat sich mit der Zeit gelegt, bis ich schließlich mit etwa Mitte 20 selbst zu den Führungsspielerinnen zählte. Wer auf dem Platz vorangeht oder das Flattern bekommt, zeigt sich letztlich in den entscheidenden Spielen.
Nia Künzer // Rechte Verteidigerin / 1. FFC Frankfurt
Nia war eine Abwehrspielerin mit einem großen Offensivdrang. Dank ihrer Zweikampfstärke war sie für mich sowohl beim 1. FFC Frankfurt als auch in der Nationalmannschaft eine unverzichtbare Mitspielerin. Wenn ich mal falsch stand, konnte sie das mit ihrer Schnelligkeit wieder ausbügeln.
Ich habe kaum eine andere Spielerin kennengelernt, die so ein großes Kämpferherz hatte. Nach jedem ihrer vier Kreuzbandrisse kam sie immer wieder genauso gut zurück. Ihr Siegtor in der Verlängerung des WM-Finales 2003 gegen Schweden war der verdiente Lohn für ihre harte Arbeit.
Trotz des Ruhms, der ihr durch das »Golden Goal« zuteilwurde, hat sie sich nicht verändert, sondern ist immer sympathisch und auf dem Boden geblieben. Sie ist keine, die große Töne spuckt und dennoch vollkommen klar in ihren Aussagen. Bei Nia weiß man immer, woran man ist. Ich schätze sie auch sehr für ihr soziales Engagement, mit dem sie schon in vielen Ländern unfassbar viel Gutes bewirkt hat. Heute ist sie ein großes Vorbild für Jungs und Mädchen und die wohl beste Botschafterin für den Frauenfußball, die man sich wünschen kann.
Elodie Woock // Defensives Mittelfeld // 1. FFC Frankfurt
Elodie war französische Nationalspielerin und kam aus Toulouse nach Frankfurt. Sie war eine Straßenfußballerin, die pure Spielfreude ausgestrahlt hat und immer den Ball haben wollte. Ihr Spiel war aufgrund ihrer Kreativität und Spielintelligenz eine Augenweide. Dementsprechend war sie auch am stärksten, wenn sie nicht in ein taktisches Konzept gepresst war.
So wie Elodie gespielt hat, war sie auch im Leben. Eine Frohnatur mit einer unglaublich positiven Aura, die für reichlich Stimmung im Team gesorgt hat. Sie hat versucht schnell Deutsch zu lernen und hat viel mit uns unternommen. Ihr heimliches Talent war Bowling. Sie war eine kleine Person, doch die großen Kugeln hat sie locker aufs Parkett gehauen und dabei einen Strike nach dem anderen geworfen.
Louise Hansen // Defensives Mittelfeld // 1. FFC Frankfurt
Sobald ich an “Loui“ denke, muss ich schmunzeln. Ihre freundliche, witzige und lebensfrohe Art war ansteckend. Das erste Mal traf ich sie bei einem internationalen Hallenturnier, als sie noch in ihrer Heimat Dänemark spielte. Abends hatten viele von uns ein bisschen gefeiert und was getrunken, so auch Loui. Während unser Team am nächsten Tag ziemlich in den Seilen hing, spielte sie, als ob nichts gewesen wäre. (lacht)
Im defensiven Mittelfeld sorgte Loui für Stabilität in unserem Spiel. Sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe und war sich trotz ihrer offensiven Qualitäten nicht zu schade dafür, vor der Abwehr den Staubsauger zu spielen. Mit ihrer Laufbereitschaft, ihrem super Spielverständnis und ihrem klugen Zweikampfverhalten hat sie im Mittelfeld viele Bälle gewonnen und unzählige Angriffe der Gegner schon im Keim erstickt. Das hat mir in der Abwehr viele brenzlige Situationen erspart. Im Spielaufbau war sie jederzeit anspielbar und konnte mit ihrer Technik wertvolle Impulse nach vorne setzen.
Kerstin Garefrekes // Linkes Mittelfeld // 1. FFC Frankfurt
Kerstin wurde oft unterschätzt, weil sie mit ihrer Größe von 1,80 Meter auf den ersten Blick nicht unbedingt wie eine feine Technikerin aussah und sie zudem bescheiden und zurückhaltend war. Auf dem Platz hat sie dann aber allen gezeigt, was sie drauf hatte. Bei uns hat sie mit ihrer Laufstärke den linken Flügel bearbeitet, hätte mit ihren taktischen Qualitäten und ihrer mannschaftsdienlichen Spielweise aber jeder Position bekleiden können.
Bei der WM 2003 in den USA habe ich mir mit Kerstin das Zimmer geteilt. Weil sie ein großer Snickers-Fan ist, habe ich ihr zu Beginn des Turniers als kleine Extra-Motivation genau sechs Stück gekauft – für jedes Spiel bis zum Finale einen. So kam es dann auch. Leider habe ich mich in der Vorrunde schwer verletzt und musste vorzeitig abreisen, doch Kerstin hat den Pokal mit nach Hause gebracht.
Parallel zu ihrer Karriere hat sie beim Sozialamt gearbeitet. Es war beeindruckend, wie sie dank ihrer hohen sozialen Kompetenz und emotionalen Intelligenz mit jedem Charakter umzugehen wusste. Daher glaube ich fest daran, dass sie auch in ihrer neuen Karriere als Trainerin erfolgreich sein wird.
Renate Lingor // Zentrales offensives Mittelfeld // 1. FFC Frankfurt
“Idgie” hatte den Ruf einer Diva. Sie war keine, die sich im Training freiwillig zum Tore tragen gemeldet hat. Zu Beginn ihrer Karriere hat sie sich auf ihrem Talent ausgeruht. Doch irgendwann hat sie gemerkt, wie viel besser sie noch werden kann, wenn sie mehr investiert. So ist sie schließlich zu einer der weltbesten Spielerinnen aufgestiegen und erreichte bei der Weltfußballerinnen-Wahl 2006 den 3. Platz.
Sie war technisch brillant und die Königin der No-Look-Pässe. Damit stand sie Ronaldinho in nichts nach. Wenn sie zum Freistoß antrat, schrillten bei den Gegnern schon die Alarmglocken. Entweder hat die sie Bälle direkt verwandelt oder gefährlich vors Tor gebracht. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Vorlage zu Nia Künzers Golden Goal von ihr kam. In meinem 100. Länderspiel hat sie auch mir eine Freistoßflanke so fein serviert, dass ich den Ball nur noch locker einnicken brauchte.
Mia Hamm // Rechtes Mittelfeld // Washington Freedom
Mia ist eine der größten Spielerinnen in der Geschichte des Frauenfußballs und ein Vorbild weit über den Fußballplatz hinaus. Keine andere Spielerin hat mich persönlich je so beeindruckt. Für die USA hat sie in 276 Länderspielen 158 mal getroffen und war zweimal Weltfußballerin des Jahres. Ihr sportlicher Erfolg kam nicht von ungefähr. Vor dem Training hat sie einen Technikparcour absolviert und danach noch Torschüsse geübt – beides freiwillig.
In den USA ist Mia ein Superstar und hat unter anderem mit Basketball-Legende Michael Jordan gemeinsame Werbespots gedreht. Als wir mal zusammen bei einem Baseballspiel der Boston Breakers im Stadion waren, wurde sie auf der Leinwand eingeblendet und vom Stadionsprecher begrüßt. Das Stadion bebte. Danach hat sie jeden Autogramm- oder Fotowunsch der Fans mit einem Lächeln im Gesicht erfüllt. Trotz all ihrer Erfolge und Bekanntheit war sie frei von Starallüren. Sie trainierte Mädchen bei Fußballcamps und unterstützt mit ihrer Stiftung vielfältige soziale Projekte.
Für mich ist Mia eine Lichtgestalt des Frauenfußballs. In meiner Traumelf sollte sie die Kapitänsbinde tragen. Ich bin froh und stolz, sie während meiner zwei Jahre in den USA kennengelernt und mich mit ihr angefreundet zu haben. Dass wir mit Washington Freedom im Jahr 2003 zusammen den Meistertitel der WUSA gewonnen haben, war das i-Tüpfelchen. Später hat sie mich zu ihrer Hochzeit mit dem ehemaligen Baseballstar Nomar Garciaparra eingeladen.
Birgit Prinz // Stürmerin // 1. FFC Frankfurt
Birgit ist die bekannteste Spielerin Deutschlands und durch ihre drei Titel bei der Weltfußballerinnen-Wahl ein Idol, dem viele junge Mädchen nacheifern. Sie kann auf eine einzigartige Karriere zurückblicken. Schon mit 16 Jahren hat sie ihr erstes Länderspiel bestritten. Ich bin froh, ihre Laufbahn aus nächster Nähe begleitet haben zu können. In vielen Zweikämpfen mit ihr hatte ich das Nachsehen, aber die Duelle habe mich besser gemacht.
Birgit war athletisch, hatte einen harten Schuss und einen kraftvollen Antritt, bei dem kaum eine Gegenspielerin mithalten konnte. Außergewöhnlich war ihr Ehrgeiz und ihre Entschlossenheit: Sie wollte nicht nur jedes Spiel gewinnen, sondern auch immer mindestens ein Tor schießen. Und meistens ist ihr das auch gelungen.
Neben ihrer Karriere hat sie eine Physiotherapie-Ausbildung absolviert und Psychologie studiert. Heute ist sie im Stab der Frauen-Nationalmannschaft. Schon in jungen Jahren war sie sehr reif und klar im Kopf. Birgit hätte unzählige Werbeverträge annehmen können, doch sie hat sich nicht für alles hergegeben, sondern sich ihre Werbepartner ganz bewusst herausgesucht.
Sandra Smisek // Stürmerin // FFC Frankfurt
Wirbelwind Sandra im Sturm war der perfekte Gegenpart zur kraftvollen Birgit Prinz: Klein, wuselig und nur mit einem Foul vom Ball zu trennen. Ihren Gegnerinnen hat sie mit ihren Finten Knoten in die Beine gespielt und die Zornesröte ins Gesicht getrieben – auch mir! Weil sie das Fußballspielen mit Jungs gelernt hatte, wusste sie sich auch gegen kräftigere Spielerinnen durchzusetzen.
Sanda ist ein Frankfurter Mädsche. Wir kommen beide aus dem sozialen Brennpunkt-Viertel Bonames und haben eine ähnliche Lebens- und Familiengeschichte. Sie hat am eigenen Leib erfahren müssen, wie hart das Leben sein kann. Davon hat sie sich aber nie unterkriegen lassen, sondern ist bodenständig, hilfsbereit und positiv geblieben. In schweren Zeiten war der Fußball für uns ein wichtiger Rückhalt.
Als Sandra noch beim FSV Frankfurt und ich beim 1. FFC spielte, haben wir zusammen in einer WG gewohnt. Es war ein schönes und unkompliziertes Miteinander. Nur kochen konnten wir beide nicht, sodass wir uns häufig etwas zu essen holen mussten. Heute ist sie Polizisten und steht voll im Leben. Die extrem anstrengende Ausbildung hat sie noch während ihrer Karriere absolviert.
Karriere-Insights von Steffi Jones
Mein bester Trainer
Dieter Hochgesand war Ende der 1980er mein Trainer, als der 1. FFC Frankfurt noch SG Praunheim hieß. Er war eigentlich ein Journalist, der einen Beitrag über unsere Mannschaft schreiben sollte. Daraus hat sich letztlich ergeben, dass er uns trainierte. Er war sicher nicht der fachkompetenteste Trainer, aber seine Art, mit uns umzugehen, war fantastisch.
Nie werde ich seine unfassbar angenehmen Stimme vergessen, der ich liebend gerne zugehört habe. Als er mal bei einem Spiel verhindert war, hat er seine Ansprache für uns auf Kassette gesprochen. Als das Band in der Kabine abgespielt wurde, fühlte es sich an, als ob er vor uns stehen würde. Wir hatten Gänsehaut und haben danach ein super Spiel abgeliefert.
Unsere Mannschaft war ein zusammengewürfelter Haufen mit überschaubarem Talent. In der Halbzeit kam es vor, dass eine Spielerin sich eine Bratwurst geholt hat. Vor der Saison hatte uns niemand auf dem Zettel, doch am Ende stand unser Aufstieg in die neu geschaffene 1. Frauen-Bundesliga. Der Erfolg hat uns selbst überrascht und lag zu ganz großen Teilen an Dieter. Mit seiner Mischung aus Strenge, Lob und Lockerheit hatte er die Gabe, uns zu Höchstleistungen zu bringen. Mit ihm in der Hauptrolle hätte man daraus eine rührselige Sportkomödie drehen können, wie aus Außenseitern Helden wurden. (lacht)
Ich bin dankbar, dass er damals unser Trainer war, denn ich war noch ganz jung, hatte einige Sorgen und viele Flausen im Kopf. Etwas Besseres als unter seine Fittiche zu kommen, konnte mir nicht passieren. Für mich persönlich wurde er mit der Zeit zu einem Vaterersatz.
Meine unangenehmste Gegenspielerin
Inka Grings war auf dem Platz ein Biest, gegen sie zu spielen einfach nur ätzend. Abseits des Platzes sind wir Freunde, doch während der Partien war davon nichts zu spüren. Sie war ein Schlitzohr, verdammt schnell, brandgefährlich und mit ihrem Gefühl für die Räume schwer zu verteidigen. Vor jedem Spiel hat sie gefrozelt, wie viele Tore sie schießen würde. Daher war es für mich fast noch wichtiger, dass sie torlos blieb als das Spiel zu gewinnen. (lacht)
Mein Training mit den Männern
Bis zum Alter von 15 Jahren habe ich bei den Jungs mitgespielt und auch später noch einige Male mit Männern trainiert. Zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2000 in Sydney habe ich ein paar Mal am Training der Leverkusener Amateure teilgenommen. Ich wurde ganz normal aufgenommen. Weder ich noch die Männer hatten Berührungsängste. Vorteilhaft war dabei sicher, dass ich dank meiner Größe von 1,80 Meter nicht den Anschein gemacht habe, zerbrechlich zu sein. Und als mein Torschuss mit einer Geschwindigkeit von 124 km/h gemessen wurde, habe ich einige anerkennende Blicke gespürt.
Nach meiner aktiven Karriere habe ich zur Vorbereitung auf meinen Job als Frauen-Bundestrainerin Marcus Sorg und seine U19-Nationalmannschaft zu einem Turnier nach Griechenland begleitet. Auch dort habe ich manchmal im Training mitgespielt. Leider meinte ich damals ernsthaft, mich mit Timo Werner in einem Laufduell messen zu wollen. Es endete für mich mit einem Muskelfaserriss im Oberschenkel. (lacht)
Die Entwicklung des Frauenfußballs
In den letzten 30 Jahren hat sich der Frauenfußball in Deutschland vom Breiten- zum Leistungssport entwickelt und in allen Bereichen enorme Fortschritte erzielt. Es gibt professionelle Strukturen, das fußballerische Niveau hat sich verbessert, die 1. Frauen-Bundesliga ist meines Erachtens die ausgeglichenste Liga der Welt, das Zuschauerinteresse ist gestiegen und unsere Nationalmannschaft hat viele große Titel gewonnen. Mit den Erfolgen der Nationalmannschaft und dem erhöhten Interesse der Öffentlichkeit ist vor allem bei den Großturnieren der Druck gestiegen. Während meiner Zeit als Nationaltrainerin dürfte ich das am eigenen Leib erfahren. Ich will mich aber nicht über die Schattenseiten beklagen, denn wir wollen ja, dass der Frauenfußball weiter an Stellenwert gewinnt.
Positiv ist sicherlich auch, dass mittlerweile viele Spielerinnen dank höherer Sponsorengelder vom Fußball leben können. Zu meiner Zeit haben fast alle nebenbei eine Ausbildung gemacht, gearbeitet oder studiert. Ich selbst war nur in den beiden Jahren bei Washington Freedom Vollprofi. Dass ich nur ein Bruchteil von dem verdient habe, was männliche Nationalspieler an Geld bekommen, habe ich aber nie als schlimm oder ungerecht empfunden. Vielmehr bin ich froh und stolz, was ich durch den Fußball alles erreicht und erlebt habe.